„Un(ter)versichert“

„Versicherungsfall im Sinne dieses Vertrages ist der Verstoß, der Haftpflichtansprüche eines Dritten gegenüber dem Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte“, heißt es üblicherweise in den Versicherungsbedingungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Die Bestimmung des Verstoßzeitpunkts ist daher regelmäßig der weiteren Prüfung durch den Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer vorgelagert. Bereits hier kann es Probleme geben. 

A. Der Haftungsfall

Die Versicherungsmaklergesellschaft M betreute bereits seit 2001 den Gewerbebetrieb der B-GmbH in allen Versicherungsangelegenheiten. Dazu gehörte selbstverständlich auch die Betreuung und Aktualisierung von deren Gebäude- und Inhaltsversicherungsverträgen. Dies war insofern anspruchsvoll, als dass es auf dem verschachtelten Firmengelände der B-GmbH immer wieder zu Erweiterungen oder Umwidmungen von Produktionsstätten kam und im Laufe der Jahre auch immer wieder kleinere und veraltete Gebäudebestandteile abgerissen worden waren. Weil die einzelnen Gebäude über drei verschiedene Risikoträger versichert waren und daneben natürlich auch noch diverse Versicherungsverträge für die übrigen gewerblichen Risiken bestanden, bemängelte der Geschäftsführer der B-GmbH Ende 2015, er hätte über der Flut von Versicherungsscheinen und -nachträgen vollständig den Überblick verloren. Er wünschte eine Vereinheitlichung und Zusammenführung von Risiken, auch wenn dies mit Mehrkosten verbunden wäre. Seitens der M wollte man diesem Kundenwunsch selbstverständlich gerne nachkommen und vereinbarte einen umfangreichen Besprechungs- und Besichtigungstermin für den folgenden Januar. Dieser wurde von den Parteien auch wahrgenommen und es wurden sodann zahlreiche Änderungen in den bestehenden Versicherungsverträgen veranlasst, einzelne Verträge gekündigt, andere neu abgeschlossen.

Im August 2019 kam es in einer kleinen Lagerhalle der B-GmbH zu einem Brandschaden, der dem vermeintlich zuständigen Gebäudeversicherer, der P-Versicherung gemeldet wurde. Nach Begutachtung des Schadens lehnte diese jedoch Versicherungsleistungen ab.  Das geschädigte Gebäude sei nicht über den bestehenden Vertrag mitversichert. Bei der Aufarbeitung des Falls stellte sich dann tatsächlich heraus, dass die Lagerhalle 2012 an ein bestehendes Gebäude angebaut worden und schon damals fehlerhaft nicht versichert worden war. Der Mitarbeiter der M, der das Firmengelände dann 2016 besichtigt hatte, war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich nur um ein Gebäude handelte, hatte aber trotz der Gebäudegröße nur das Altgebäude berücksichtigt. Insofern hatte die B-GmbH in jedem Fall ein Problem, entweder in Form eines gar nicht versicherten oder in Form eines erheblich unterversicherten Gebäudes. Hierfür machte man M haftbar, der diesen Fall über unser Haus der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung meldete.

B. Deckungsebene

Auf Deckungsebene ging es zunächst weniger um konkrete Versicherungsleistungen, sondern primär darum, den Verstoßzeitpunkt zu bestimmen, da die M bis zum 22.05.2014 über Versicherer A und danach über Versicherer C vermögensschaden-haftpflichtversichert war.

Versicherer C argumentierte, M hätte bereits in 2012 versäumt, das beschädigte Gebäude zu versichern. Dieser Verstoß sei maßgeblich, auch wenn in den Folgejahren noch mehrfach die Möglichkeit bestanden hätte, den Fehler zu korrigieren. Man empfahl die Meldung an den Vorversicherer.

Versicherer A bewertete den Sachverhalt abweichend. Zwar räumte man ein, dass es unstreitig bereits während der Laufzeit des mit der M abgeschlossenen Versicherungsvertrages eine Pflichtverletzung gegeben hätte. Maßgeblich seien jedoch die Fehler des Mitarbeiters der M Anfang 2016 geworden. Insofern sehe man den Nachversicherer in der Verantwortung.

Beide Rechtsauffassungen schienen erst einmal vertretbar. Grundsätzlich ist es durchaus so, dass das erste Fehlverhalten maßgeblich ist, welches in gerader Linie zum Schaden führt. Wird dieser erste Pflichtverstoß zu einem späteren Zeitpunkt – trotz Prüfungsanlass – nicht bemerkt, obwohl die Möglichkeit dazu bestanden hätte, ist nur von einem unselbständigen Verstoß auszugehen. Anders ist dies aber, wenn ein einmal begangener Fehler nicht nur fortgeführt wird, sondern nach erneuter Prüfung wiederholt wird. So lag der Fall hier. Das ergab sich aus der zwischen M und der B-GmbH gewechselten Korrespondenz bzw. den angefertigten Beratungsdokumentationen. 2012 war eine Mitteilung zum neu errichteten Gebäude unberücksichtigt geblieben. Ende 2015 bzw. Anfang 2016 hatten sich beide Parteien des Versicherungsmaklervertrages im Vorfeld des Ortstermins ausdrücklich darauf verständigt, dass alle bestehenden Versicherungsverträge von Grund auf überprüft und gegebenenfalls neu geordnet werden sollten.  Die Situation war somit vergleichbar mit einer Erstberatung. Es konnte keine Rede mehr davon sein, dass ein bestehender Fehler nicht behoben wurde. Stattdessen wurde eine neue Kausalkette in Gang gesetzt.

C. Ergebnis

Schlussendlich konnten wir Versicherer C mit den vorbeschriebenen Argumenten davon überzeugen, in die Regulierung des Vermögensschadens einzutreten. Dadurch konnte noch rechtzeitig eine drohende Haftungsklage abgewendet werden, die die Kundenverbindung zwischen M und der B-GmbH wahrscheinlich endgültig zerstört hätte.