Aus der anwaltlichen Praxis ist die Bearbeitung rechtsschutzversicherter Mandate nicht wegzudenken.[1] Die Rechtsschutzversicherung bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten. Während sich der Versicherungsnehmer bei einer Deckungszusage daher grundsätzlich keine finanziellen Sorgen hinsichtlich seines Rechtsstreits mehr machen muss, muss der Rechtsanwalt seinen Aufklärungs‑, Beratungs- und Belehrungspflichten gegenüber seinem Mandanten nachkommen. Er ist nach der Rechtsprechung zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet und hat die Aufgabe, den Mandanten vor möglichen Schäden zu bewahren. Insbesondere über das Prozessrisiko muss der Mandant möglichst genau aufgeklärt werden, weil dieses für seine eigenverantwortliche Entscheidung, ob der Rechtsweg beschritten werden soll, besonders wesentlich ist. Der Umstand, dass ein Mandant rechtsschutzversichert ist, führt somit nicht zu einer Entlastung des Rechtsanwalts, sondern lässt die von ihm zu beachtenden anwaltlichen Sorgfaltspflichten selbstverständlich unberührt. Das bedeutet, dass auch einem rechtsschutzversicherten Mandanten von einer völlig aussichtslosen Klage oder Berufung abzuraten ist.
Der Regress durch den Rechtsschutzversicherer
In letzter Zeit mehren sich die Fälle, in denen Rechtsschutzversicherer Regressansprüche gegenüber Anwälten geltend machen. Dabei wird den Anwälten vorgeworfen, sie hätten den Mandaten nicht über das Prozessrisiko aufgeklärt und ihn nicht vom aussichtslosen Prozess abgeraten. Teilweise wird ihnen zudem vorgeworfen, dass sie die Deckungszusage nicht verhindert haben.[2] Rechtsschutzversicherer dürfen nicht als Selbstbedienungsladen verstanden werden, bei denen Deckungszusagen für völlig aussichtslose Klageverfahren eingefordert werden können.[3] Einige Rechtsschutzversicherer unternehmen aber scheinbar „systematisch“ den Versuch, sich durch eine Haftbarmachung von Anwälten schadlos zu halten.[4]
Das Dreiecksverhältnis
Rechtsschutzversicherten Mandaten liegt ein Dreiecksverhältnis zugrunde: Der Anwaltsvertrag zwischen Mandat und Rechtsanwalt sowie der Versicherungsvertrag zwischen Mandat (Versicherungsnehmer) und Rechtsschutzversicherer. Aus dieser Konstellation ergibt sich, dass der Rechtsanwalt nur gegenüber dem Mandaten, nicht aber gegenüber dem Rechtsschutzversicherer für die Durchführung des Anwaltsvertrags verantwortlich ist.[5]
Übernimmt die Rechtsschutzversicherung die Prozesskosten des Versicherungsnehmers gehen etwaige Ersatzansprüche gegen einen Dritten insoweit gesetzlich auf sie über (§86 Abs. 1 VVG). In den allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Rechtsschutzversicherung (ARB) findet sich dieser Forderungsübergang ebenfalls wieder (§ 17 Abs. 9 ARB 2010). Von diesem Übergang sind auch Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten, die dem Versicherungsnehmer gegen seinen Prozessbevollmächtigten wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages zustehen, erfasst.[6]
Nimmt der Mandant den von ihm beauftragten Rechtsanwalt wegen Pflichtverletzung des Anwaltsvertrags auf Schadenersatz in Anspruch, hat er die Pflichtverletzung, den Schaden sowie den zwischen beiden bestehenden Kausal- und – grundsätzlich auch – den Zurechnungszusammenhang darzulegen und zu beweisen. Macht die Rechtsschutzversicherung des Mandaten einen auf sie gemäß §86 VVG übergegangenen Anspruch gegen den Anwalt geltend, gilt nichts anderes für die Rechtsschutzversicherung.
Schaden
Fraglich ist in diesen Fällen dann bereits, ob der Rechtsschutzversicherer überhaupt einen Schaden aus übergegangenem Recht gegen den Anwalt geltend machen kann. Wenn Mandanten ihren Anwalt anweisen, eine Klage nur dann zu erheben, wenn der Rechtsschutzversicherer Deckungszusage erteilt, haben die Mandanten von vornherein keinen Schaden, bezüglich dessen ein Ersatzanspruch auf den Versicherer übergehen könnte.[7] Die Rechtsschutzversicherung ist jedoch eine reine Schadensversicherung, die dem Versicherungsnehmer Schäden ersetzt, die dieser auf Grund einer erfolglosen Rechtsverfolgung erleidet. Die Erstattung der Prozesskosten durch den Rechtsschutzversicherer ändert nichts daran, dass es sich um einen Schaden des Versicherungsnehmers handelt.[8]
Eine Berücksichtigung der Versicherungsleistung im Wege der Vorteilsausgleichung kommt nicht in Betracht. Zwar hat der Versicherungsnehmer einen Freistellungsanspruch in Höhe der Prozesskosten gegen den Versicherer. Diesen Anspruch hat er sich jedoch durch die Zahlung von Versicherungsprämien erkauft. Eine Anrechnung der Leistungen scheidet daher aus, weil durch die Versicherung der Geschädigte und nicht der Schädiger begünstigt werden soll.[9]
Pflichtverletzung und Kausalität
Bei der Frage, ob eine Pflichtverletzung des Anwalts vorliegt, ist stets maßgeblich, ob und wie der Anwalt seine Pflichten gegenüber seinem Mandanten erfüllt hat. Fehlt es an der Pflichtverletzung, besteht schon kein Schadensersatzanspruch, der auf den Rechtsschutzversicherer übergehen kann.
Ist sicher oder „in hohem Maße wahrscheinlich, dass der Mandant den Prozess verliert“[10], muss der Rechtsanwalt hierauf nachdrücklich hinweisen und von einer Klage abraten.[11] Er hat die Pflicht, keine kostenauslösenden rechtlichen Schritte zu ergreifen, die nicht geeignet sind, den Rechten des Mandanten zur Durchsetzung zu verhelfen.[12]
Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität bedarf es der Feststellung, wie sich der hypothetische Geschehensablauf bei pflichtgemäßem Anwaltsverhalten dargestellt hätte. Der Anspruchsteller trägt dabei die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen Anwaltsfehler und geltend gemachtem Regressschaden, wobei ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugutekommt. Der Beweis wird durch die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens im Sinne eines Anscheinsbeweises erleichtert. Diese Vermutung gilt aber nur, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des Rechtsanwalts lediglich ein bestimmtes Verhalten des Mandanten nahe gelegen hätte. Sind verschiedene Verhaltensweisen des Mandanten sinnvoll, greift die Vermutung nicht.
Nach der Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ist davon auszugehen, dass ein Mandant, der die Prozesskosten selber tragen muss, bei zutreffender Aufklärung durch den Rechtsanwalt von einer Durchführung eines aussichtslosen Rechtsstreits abgesehen hätte. Ob dies auch dann gilt, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist und die Deckungszusage nicht durch falsche Angaben erlangt wurde, wird unterschiedlich betrachtet. Im Unterliegensfall wird der Mandant neben einer etwaigen Selbstbeteiligung mit keinen Kosten belegt.
Das OLG Celle[13] hat in seinem Beschluss die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens angenommen, ohne überhaupt auf die bestehende Rechtsschutzversicherung einzugehen. Zu Gunsten der klagenden Rechtsschutzversicherung greift nach Ansicht des OLG Hamburg[14] ebenfalls der Anscheinsbeweis, dass der Mandant nicht um Deckung hätte nachsuchen lassen und den Anspruch nicht verfolgt hätte, wenn der Anwalt ihm davon abgeraten hätte.[15] Nach Auffassung des OLG Hamburg wäre dies aus der Sicht eines vernünftigen Mandanten die einzig naheliegende Reaktion auf die entsprechende anwaltliche Belehrung gewesen. In diese Richtung ging auch schon das OLG Düsseldorf. Das OLG Düsseldorf vertrat die Auffassung, dass der Rechtsanwalt zusätzlich darüber aufklären muss, dass eine aussichtlose Rechtsverfolgung nicht „erforderlich“ im Sinne des §125 VVG ist und der Mandant daher keinen Rechtsschutz beanspruchen kann. Eine redliche Partei würde nach einer solchen Belehrung nicht „auf gut Glück“ Klage einreichen – das wäre „schlicht irrational“.[16]
Anders sah es das LG Dortmund[17] und vertrat die Ansicht, ein vernünftig denkender Mandant würde auch dann, wenn seine Rechtsverfolgung nach Mitteilung seines Rechtsanwalts aussichtslos ist, zunächst dennoch versuchen, eine Deckungszusage zu erhalten und nach deren Erhalt den Prozess gegebenenfalls führen. Nach der Lebenserfahrung ist den meisten Mandanten doch gleichgültig, ob eine Rechtsverfolgung aussichtsreich ist, wenn sie gleichwohl Deckungsschutz von ihrer Rechtsschutzversicherung haben.[18]
Zwar steht es einer Partei frei, Prozesse zu führen, die sie nicht gewinnen kann. Dieses Recht unterliegt jedoch nach Ansicht des OLG Nürnberg[19] Einschränkungen, wenn die Prozessfinanzierung durch einen Rechtsschutzversicherer erfolgt. Eine aussichtslose Rechtsverfolgung ist nicht erforderlich i.S.d. § 125 VVG. Das findet in den ARB seinen Ausdruck dahingehend, dass der Rechtsschutzversicherer den Rechtsschutz auch dann ablehnen kann, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Die Argumentation von Jungk, Chab und Grams übersieht nach Ansicht des OLG Düsseldorf[20], dass ein vom Rechtsanwalt über die Aussichtslosigkeit der Klage informierter Mandant seine Obliegenheiten gegenüber der Versicherung dadurch verletzt, dass er, wenn er von den mangelnden Erfolgsaussichten Kenntnis hat, die Versicherung dennoch um Deckungsschutz bittet. Ein solches Verhalten gegenüber der Versicherung sei rechtsmissbräuchlich, so dass es dem Versicherungsnehmer letztlich gemäß § 242 BGB verwehrt sein muss, sich auf das in der Deckungszusage ihm gegenüber zu sehende deklaratorische Schuldanerkenntnis der Versicherung zu berufen. Andererseits soll dem Versicherungsnehmer aber durch die Rechtsschutzversicherung gerade das Risiko genommen werden, im Falle der Erfolgslosigkeit mit erheblichen Kosten belastet zu werden. Eine höchstrichterliche Entscheidung in dieser Frage wäre daher wünschenswert.
Sofern die „Vermutung beratungsgerechten Verhaltens“ nicht anwendbar[21] oder widerlegt ist, muss die Rechtsschutzversicherung den vollen Beweis erbringen, dass der Mandant bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Prozess abgesehen hätte.
Die Deckungszusage – Hinderungsgrund oder Mitverschulden des Versicherers?
Die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers stellt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Rechtsschutzversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer dar.
Es stellt sich die Frage, ob die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers den Rechtsanwalt entlastet, schließlich nimmt der Rechtsschutzversicherer eine eigene Prüfung der Prozessaussichten vor und gewährt nach positiver Prüfung anschließend Deckung. So mag es durchaus widersprüchlich wirken, wenn der Rechtsschutzversicherer einerseits dem Mandanten Versicherungsschutz gewährt, bei Prozessverlust aber dem Rechtsanwalt vorhält, dieser habe den Mandanten nicht ordnungsgemäß belehrt. Deckungszusagen hindern die Rechtsschutzversicherer jedoch nicht nach § 242 BGB an der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs. [22] Beim Versicherungsverhältnis zwischen Rechtsschutzversicherer und Mandanten handelt es sich auch nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (=Anwalt)[23], so dass das Prüfungsergebnis auch auf diesem Wege keinen Einfluss hat. Abzustellen ist vielmehr auf ein etwaiges Mitverschulden des Versicherungsnehmers, wie das OLG Bamberg betont. § 254 Abs. 1 BGB setzt eine Mitwirkung des „Beschädigten“ an der Entstehung des Schadens voraus. Beschädigt wird der Versicherungsnehmer als Partei des Anwaltsvertrages. Ihm wiederum obliegt im Verhältnis zum Rechtsanwalt keine Befugnis bzw. Pflicht zur Prüfung der Erfolgsaussichten. Ein Mitverschulden käme folglich nur dann in Betracht, wenn der Rechtsschutzversicherer als Erfüllungsgehilfe des Versicherungsnehmers im Pflichtenkreis des Anwaltsvertrags tätig geworden wäre.[24]
Fazit
Unter Berücksichtigung der Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit ist erkennbar, dass sich das Kostenrisiko der Rechtsschutzversicherungen für Prozesse auf die Anwälte bzw. deren Berufshaftpflichtversicherung verlagert. Die juristische Literatur hat starke Zweifel an der Begründung einer Haftung und vermutet „konstruierte“ und „allein im Interesse der Rechtsschutzversicherer liegende Anwaltspflichten“ durch die Obergerichte.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser „Trend“ in der Rechtsprechung bzw. das „Geschäftsmodell“ der Rechtsschutzversicherer entwickelt.
[1] Der deutsche Anwaltverein hat ein Merkblatt mit allgemeinen Hinweisen zum Umgang mit rechtsschutzversicherten Mandanten herausgegeben. Dies ist abrufbar unter https://anwaltverein.de/files/anwaltverein.de/downloads/downloads/merkblatt_rechtsschutzversicherung/150804%20DAV%20Merkblatt%20Rechtsschutzversicherung.pdf.
[2] OLG Düsseldorf , ablehnend Dr. Weinbeer, AnwBl. 2020, 26 (27).
[3] vgl. van Bühren, NJW 2007, 3606 (3610).
[4] Dr. Weinbeer, aaO.
[5] So auch OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 05.07.2010 — 3 U 83/10.
[6] OLG Koblenz NJW 2006, 3150; KG NJW 2014, 397.
[7] So Jungk, Chab, Grams in BRAK 2013, 220 (223).
[8] OLG Bamberg, Urteil vom 20.11.2018 — 6 U 19/18, ablehnend Dr. Weinbeer, aaO., S. 31.
[9] OLG Köln, Urteil vom 29.06.1993, 9 U 237/92.
[10] OLG Hamburg, Urteil vom 27.09.2018, 1 U 2/18.
[11] Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 280 Rn. 70 m.w.N.
[12] OLG Bamberg aaO.
[13] OLG Celle, Beschluss vom 19.09.2018 – 4 U 104/18.
[14] OLG Hamburg aaO.
[15] Nach OLG Hamm, Urteil vom 18.02.2016 – 28 U 73/15, Urteil vom 23.08.2016 – I – 28 U 57/15 ist der Anwalt gehalten, sich gegen eine Anfrage beim Rechtsschutzversicherer auszusprechen.
[16] OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.06.2013, 9 U 147/12, zustimmend OLG Köln Urteil vom 23.05.2019 – 24 U 123/18.
[17] LG Dortmund Urt. v. 23.3.2017 – 2 S 21/16, so auch schon Grams in FD-VersR 2013, 348085.
[18] Grams aaO.
[19] OLG Nürnberg, Urteil vom 14.01.2019 – 13 U 916/17.
[20] OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.07.2016 – I – 9 U 102/14.
[21] So Dr. Weinbeer, aaO, S. 30.
[22] Das AG Köln, Urt. v. 4.6.2018 – 142 C 59/18, sah einen Vertrauenstatbestand, der es dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehre, wegen für ihn im Rahmen der Deckungsprüfung erkennbar fehlender Erfolgsaussicht in der Folge den Rechtsanwalt in Regress zu nehmen. Das OLG Köln ist diesem Ansatz in anderen Entscheidungen nicht gefolgt.
[23] OLG Koblenz, Urteil vom 16. 2. 2006 — 5 U 271/05.
[24] OLG Hamburg aaO.