Eine zusam­men­fas­sen­de Dar­stel­lung zu BGH, Urteil vom 16.09.2021 – IX ZR 165/19.

 

I. Aus­gangs­fall

Die Klä­ge­rin, ein Rechts­schutz­ver­si­che­rer, hat­te zwei Ver­si­che­rungs­neh­mern (VN), die von den beklag­ten Rechts­an­wäl­ten ver­tre­ten wur­den, eine Deckungs­zu­sa­gen für die erst­in­stanz­li­che Gel­tend­ma­chung von Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen im Zusam­men­hang mit einer 1997 gezeich­ne­ten Betei­li­gung an einem Immo­bi­li­en­fonds erteilt. Zuvor hat­ten die Beklag­ten im Dezem­ber 2012 – vor Ablauf der Ver­jäh­rungs­höchst­frist – für die VN der Klä­ge­rin einen Mus­ter­gü­te­an­trag bei einer Güte­stel­le gestellt. Nach­dem das Schlich­tungs­ver­fah­ren geschei­tert war, erho­ben die Beklag­ten im Juni 2013 für die VN Kla­ge, die aller­dings abge­wie­sen wur­de. Kurz nach­dem gegen das erst­in­stanz­li­che Urteil Beru­fung ein­ge­legt wor­den war (am 18. Juni 2015) – wie­der­um hat­te die Klä­ge­rin den VN eine Deckungs­zu­sa­ge erteilt – erging ein Urteil des BGH zu den Anfor­de­run­gen an einen die Ver­jäh­rung hem­men­den Güte­an­trag. Der von den Beklag­ten ver­wen­de­te Mus­ter­gü­te­an­trag erfüll­te die vom BGH auf­ge­stell­ten Anfor­de­run­gen nicht. Das Beru­fungs­ge­richt wies die VN dar­auf hin, dass die Beru­fung offen­sicht­lich unbe­grün­det sei. Trotz­dem rie­ten die spä­te­ren Beklag­ten nicht zur Rück­nah­me des Rechts­mit­tels. Die Beru­fung wur­de dann tat­säch­lich zurück­ge­wie­sen. Auch eine anschlie­ßen­de Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de schei­ter­te.

II. Vor­in­stan­zen

Sei­tens des Rechts­schutz­ver­si­che­rers wur­de nun aus über­ge­gan­ge­nem Recht Ersatz für die im Aus­gangs­ver­fah­ren über­nom­me­nen Kos­ten ver­langt. Zudem begehr­te man die Fest­stel­lung, dass kei­ne wei­te­ren Gebüh­ren­an­sprü­che gegen die VN bestün­den.

Das ange­ru­fe­ne Land­ge­richt gab der Kla­ge statt, das OLG wies die­se in der Beru­fungs­in­stanz ins­ge­samt ab. Die Recht­spre­chung zu den Anfor­de­run­gen an Güte­an­trä­ge hät­te sich erst nach Ein­le­gung der Beru­fung im Aus­gangs­fall geän­dert. Zum Zeit­punkt des Hin­weis­be­schlus­ses sei dies zwar anders gewe­sen, den­noch kön­ne dahin­ste­hen, ob die beklag­ten Rechts­an­wäl­te zur Rück­nah­me der Beru­fung hät­ten raten müs­sen. Denn es sei nicht bewie­sen, dass die VN einem sol­chen Rat tat­säch­lich auch gefolgt wären. Die­se hät­ten schließ­lich eine Deckungs­zu­sa­ge für den Rechts­streit gehabt. Der sonst gel­ten­de Anscheins­be­weis für ein bera­tungs­ge­rech­tes Ver­hal­ten des Man­dan­ten grei­fe des­halb nicht. Hin­sicht­lich der nach­fol­gen­den Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de sah das OLG bereits kei­ne Pflicht­ver­let­zung, weil die­se die letzt­mög­li­che, wenn auch sehr gerin­ge, Chan­ce auf Rea­li­sie­rung der Scha­dens­er­satz­an­sprü­che gebo­ten hät­te.

III. Die Ent­schei­dung des BGH

Die Revi­si­on hat­te zum über­wie­gen­den Teil Erfolg und führ­te zur Zurück­ver­wei­sung der Sache an das Beru­fungs­ge­richt.

1. Ersatz­an­sprü­che nach § 86 I 1 VVG

Zur recht­li­chen Ein­ord­nung stell­te der BGH zunächst fest, dass die vom Rechts­schutz­ver­si­che­rer gel­tend gemach­ten Scha­den­er­satz­an­sprü­che Ersatz­an­sprü­che im Sin­ne von § 86 Abs. 1 S. 1 VVG sei­en. Die Norm sol­le bewir­ken, dass der Schä­di­ger durch die Ver­si­che­rungs­leis­tung nicht befreit, der VN nicht berei­chert wer­de. Wür­de der Deckungs­an­spruch des VN den Scha­den und damit die Haf­tung des Rechts­an­walts aus­schlie­ßen, wür­de letz­te­rer unge­recht­fer­tigt ent­las­tet.

2. Kein Ver­stoß gegen Treu und Glau­ben

Die Gel­tend­ma­chung der Scha­dens­er­satz­an­sprü­che durch den Rechts­schutz­ver­si­che­rer aus über­ge­gan­ge­nem Recht ver­sto­ße auch nicht gegen Treu und Glau­ben (§ 242 BGB), weil das vom Rechts­schutz­ver­si­che­rer beauf­trag­te Scha­den­ab­wick­lungs­un­ter­neh­men die Deckungs­an­fra­gen geprüft und die Aus­sichts­lo­sig­keit der Rechts­ver­fol­gung selbst hät­te erken­nen kön­nen. Die Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen sehen zwar die Mög­lich­keit vor, Deckung zu ver­sa­gen, wenn kei­ne hin­rei­chen­de Aus­sicht auf Erfolg bestün­de, ver­pflich­tet sei der VR hier­zu aber nicht, erst recht nicht gegen­über dem Rechts­an­walt des VN. Es oblie­ge allein dem Rechts­an­walt, sei­ne Tätig­keit so aus­zu­rich­ten, dass der Man­dant nicht geschä­digt wer­de. Der gesetz­li­che For­de­rungs­über­gang ände­re hier­an nichts. Der not­wen­di­ge Inter­es­sen­aus­gleich wer­den durch die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze zur Rechts­an­walts­haf­tung bewirkt. Eines Rück­griffs auf § 242 BGB bedür­fe es nicht.

3. Anwalt­li­che Bera­tungs­pflich­ten

Zum eigent­li­chen Vor­wurf des Rechts­schutz­ver­si­che­rers, die Beklag­ten hät­ten einen von Anfang an aus­sichts­lo­sen Rechts­streit geführt und dadurch einen Kos­ten­scha­den ver­ur­sacht, stell­te der BGH fest, dass es kei­ne man­dan­ten­be­zo­ge­ne Pflicht gäbe, einen aus­sichts­lo­sen Rechts­streit nicht zu füh­ren.


„Die Pflicht des Rechts­an­walts zur Bera­tung des Man­dan­ten über die Erfolgs­aus­sich­ten einer in Anspruch genom­me­nen Rechts­ver­fol­gung besteht unab­hän­gig davon, ob der Man­dant rechts­schutz­ver­si­chert ist oder nicht.“

 amt­li­cher Leit­satz –


Ent­schei­dend sei viel­mehr, ob ein Rechts­an­walt sei­ner Pflicht zur Bera­tung über die Erfolgs­aus­sich­ten des Rechts­streits gerecht gewor­den sei, die unab­hän­gig vom Bestehen einer Rechts­schutz­ver­si­che­rung bestün­de. Der Man­dant sol­le in die Lage ver­setzt wer­den, eigen­ver­ant­wort­lich sei­ne Rech­te und Inter­es­sen zu wah­ren und eine Fehl­ent­schei­dung in sei­nen recht­li­chen Ange­le­gen­hei­ten zu ver­mei­den. Wenn eine Kla­ge prak­tisch aus­sichts­los sei, müs­se der Rechts­an­walt dies klar her­aus­stel­len und kön­ne nach den gege­be­nen Umstän­den gehal­ten sein, von der Rechts­ver­fol­gung abzu­ra­ten.

In wel­chem Maße der Rechts­an­walt zu Risi­ko­hin­wei­sen ver­pflich­tet sei, rich­te sich nach den Ver­hält­nis­sen im Zeit­punkt der Bera­tung, ins­be­son­de­re auch der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung. Ver­än­de­re sich die­se im Lau­fe eines Ver­fah­rens müs­se ein Rechts­an­walt auch über die damit ver­bun­de­ne Ver­schlech­te­rung der Erfolgs­aus­sich­ten auf­klä­ren. Ein Rechts­an­walt erfül­le sei­ne Pflicht aus dem Man­dan­ten­ver­hält­nis dage­gen nicht dadurch, dass er ohne vor­her­ge­hen­de Bera­tung des Man­dan­ten und des­sen (eigen­ver­ant­wort­li­che) Ent­schei­dung eine Deckungs­zu­sa­ge des Rechts­schutz­ver­si­che­rers erwir­ke. Denn es oblie­ge allein dem VN, über eine Deckungs­zu­sa­ge zu ver­fü­gen (also Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen in Anspruch zu neh­men oder eben auch nicht), so wie er auch über sein sons­ti­ges Ver­mö­gen ver­fü­ge. Eine eigen­ver­ant­wort­li­che und sach­ge­rech­te Ent­schei­dung kön­ne der VN aber nur tref­fen, wenn er durch sei­nen Rechts­an­walt aus­rei­chend bera­ten wür­de.

4. Kau­sa­li­tät

Wenn der Rechts­an­walt der ihm oblie­gen­den Bera­tungs­pflicht nicht nach­ge­kom­men sei, kom­me es – so der BGH – dar­auf an, wie sich der Man­dant bei pflicht­ge­mä­ßer Unter­wei­sung ver­hal­ten hät­te. In die­sem Zusam­men­hang müs­se durch den Tat­rich­ter durch­aus berück­sich­tigt wer­den, ob das Risi­ko des Man­dan­ten, im Fal­le einer Nie­der­la­ge die Kos­ten eines Rechts­streits tra­gen zu müs­sen, durch einen bestehen­den Deckungs­an­spruch aus einer Rechts­schutz­ver­si­che­rung oder eine bereits vor­lie­gen­de Deckungs­zu­sa­ge her­ab­ge­min­dert gewe­sen wäre.


„Ein bestehen­der Deckungs­an­spruch des Man­dan­ten gegen sei­nen Rechts­schutz­ver­si­che­rer oder eine bereits vor­lie­gen­de Deckungs­zu­sa­ge kön­nen den Anscheins­be­weis für ein bera­tungs­ge­rech­tes Ver­hal­ten des Man­dan­ten aus­schlie­ßen; dies gilt nicht, wenn die Rechts­ver­fol­gung objek­tiv aus­sichts­los war.“

 amt­li­cher Leit­satz –


In einem sol­chen Fall könn­ten schon ganz gerin­ge Erfolgs­aus­sich­ten den Man­dan­ten dazu ver­an­las­sen einen Rechts­streit zu füh­ren bzw. fort­zu­set­zen. Wenn die Rechts­ver­fol­gung aller­dings objek­tiv aus­sichts­los sei – also nicht wenigs­tens ganz gerin­ge Erfolgs­aus­sich­ten bestün­den – lie­ge die Rechts­ver­fol­gung nicht im Inter­es­se eines ver­nünf­tig urtei­len­den Man­dan­ten, son­dern allein im (Gebühren-)Interesse des Rechts­an­walts. Ein ver­nünf­tig urtei­len­der Man­dant wür­de sei­nen Rechts­schutz­an­spruch dann nicht ein­set­zen. Ob die Rechts­ver­fol­gung aus­sichts­los gewe­sen sei – etwa bei höchst­rich­ter­li­cher, abschlie­ßen­der Klä­rung – dar­über müs­se im Ein­zel­fall der Tat­rich­ter ent­schei­den. Die Annah­me der Aus­sichts­lo­sig­keit unter­lie­ge hohen Anfor­de­run­gen.

5. Feh­ler des Beru­fungs­ge­richts

Den vor­be­schrie­be­nen (hohen) Anfor­de­run­gen sei die Ent­schei­dung des Beru­fungs­ge­richts inso­fern nicht gerecht gewor­den, als dass das Beru­fungs­ge­richt offen­ge­las­sen hät­te, ob die Beklag­ten den VN zur Rück­nah­me der Beru­fung raten muss­ten. Auch habe das Beru­fungs­ge­richt nicht in Erwä­gung gezo­gen, dass die wei­te­re Rechts­ver­fol­gung aus­sicht­los gewe­sen sein könn­te und des­halb zu Unrecht einen kau­sa­len Scha­den bezüg­lich der Kos­ten des Beru­fungs­ver­fah­rens ver­neint. Zudem hät­te das Beru­fungs­ge­richt es ver­säumt Fest­stel­lun­gen, zur Bera­tung über die Erfolgs­aus­sich­ten der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zu tref­fen.

Ass. jur. Rudolf Bau­er,

LL.M. Ver­si­che­rungs­recht